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Hier werde ich nur meine Geschichten veröffentlichen und würde mich über konstruktive Kommentare freuen, damit ich meinen Schreibstil verbessern kann!

Montag, 1. November 2010

Verfolgt

»Eva?«, hörte ich meine Mutter unter Tränen sagen.
»Ja?« Meine Stimme war ängstlich. Wie immer, wenn wieder eine der vielen Truppen das Haus fast einstürzte. Meine Hände zitterten und mir wurde kalt. Der kühle Steinboden, auf den ich mich gekauert hatte, war feucht von dem Wasser, das immer wieder von der Decke tropfte.
Schweiß war auf meiner Stirn ausgebrochen und brannte in den Augen.
Ich hatte mich an die Wand des Kellers gedrückt, sodass sich die spitzen Steine in meinen Rücken bohrten. Es tat weh, doch ich war so betäubt, dass ich den Schmerz nur am Rande wahr nahm.
Der Boden hatte unter den Schuhen der Männer gebebt und fast hatte ich gedacht, ich würde sterben. Doch ich hatte überlebt. Ich hatte diesen Albtraum überlebt, der tagaus und tagein über uns herrschte und immer wieder unwissend antrat.
Hätte mein Vater nicht gerade noch gemerkt, wie die Truppen durch unsere Straße marscheierten, würde ich jetzt nicht mehr hier sitzen. Schnell waren wir in den Keller geklettert und hatten es in letzter Sekunde geschafft.
Eigentlich wollte ich gar nicht mehr leben. Das Leben war einmal schön gewesen, doch das war Jahre her. Und jetzt wollte ich nur noch sterben. Allein wegen meiner Eltern hatte ich noch keinen Selbstmord begangen. Sie waren stark und halfen mir wo es nur ging. Nur konnten sie auch nicht viel machen.
Ich hatte Angst zu sterben. Ja. Doch noch mehr Angst bereitete mir das Leben, das ich weiterhin führte. Es war einfach sinnlos dieses Verstecken spielen zu führen. Wahrscheinich war es sowieso bald vorbei, dachte ich und mein Herz zog sich dabei schmerzhaft zusammen.
Bisher hatte es keine Komplikationen mit Judenfeindlichen gegeben, worüber ich mehr als erleichtert war. Trotzdem waren wir schon oft geflohen.
Mein Leben hatte sich drastisch geändert, als Adolf Hitler das Land anfing zu führen. Am Anfang lief noch alles gut, doch schließlich wurde alles zu einem Albtraum, der bisher nicht enden wollte.
»Geht es dir gut?«, fragte mich Frieda, meine Mutter, womit sie mich aus den grauenhaften Gedanken riss.
»J-Ja.« Meine Zähne schlugen hart aufeinander. Das Zittern war stärker geworden, als ich den Geruch von Blut wahrgenommen hatte. Er war stechend und nur der ätzende Geruch des feuchten Kellers verhinderte, dass ich in Ohnmacht fiel. Ich hatte noch nie Blut sehen oder riechen können. Dabei wurde mir immer übel oder es zeigten sich Dinge wie Ohnmacht oder Schwindel an.
Ich schloss meine Augen, um wieder zu Besinnung zu kommen und steckte dabei den Kopf zwischen die Knie. Dabei beugte ich mich nach vorne, sodass die spitzen Steine sich nicht weiter in meinen Rücken bohrten.
»Oh, Eva«, hört ich meine Mutter flüstern. Langsam kam sie auf mich zugekrochen und strich mir sanft über den Rücken. Ich merkte, wie sich mein Oberteil an die Haut geklebt hatte und stöhnte erschrocken auf, als sie über eine Wunde strich.
Ich hatte mich an einem Stein geschnitten. Ich spürte, wie das Blut an meinem Oberteil klebte und es sich an der Wunde verfing.
»Soll ich Wasser holen?«, hörte ich meinen Vater schwach aus der Ecke fragen. Bisher hatte ich ihn kaum wahr genommen-er hatte sich so still verhalten.
»Nein, Vater. Es ist gut. Ich… Ich brauche nur etwas frische Luft«, flüsterte ich mit schwacher Stimme und versuchte es möglichst wahr klingen zu lassen. Ich wollte seine Hilfe nicht überstrapazieren; das tat ich durch meine Anwesenheit schon genug, denn ich hatte die Eigenschaft bei jeder Möglichkeit das Gleichgewicht zu verlieren oder hinzufallen. Mein Körper hatte deshalb auch einige Narben, die ich immer zu verstecken versuchte, sobald wir in die Öffentlichkeit traten. Dies geschah allerdings in letzter Zeit immer weniger, denn die Truppen auf den Straßen brachten uns immer wieder dazu zu flüchten.
Oft gab es Schlägereien, weil sich politische Gegner bekämpften und dies durch Körperlichkeit zu lösen versuchten. Die Straßen von Berlin waren mit Plakaten für die Hitlerjugend tapezierten. Darauf standen Sprüche wie `Jugend dient dem Führer-Alle Zehnjährigen in die HJ´.
Frieda, meine Mutter, hatte mir erzählt, dass es an manchen Orten sogar Schilder gab, worauf stand: `Juden betreten diesen Ort auf eigene Gefahr´. Ich konnte es noch jetzt nicht fassen. Wir waren auch nur Menschen. Menschen, die zwar einen anderen Glauben lebten, doch vom Charakter unterschieden wir uns so wenig wie die anderen.
»Ich hole dir jetzt Wasser!«, verkündete mein Vater kurzerhand und stand mühsam auf. Ich wollte ihm widersprachen, doch da war er bereits aus dem kleinen Eingang gekrochen und verschwand.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht schloss ich die nur noch halb geöffneten Augen. Die Decke war hier sehr niedrig, sodass ich gerade gebeugt hätte stehen können. Da ich meine jetzige Position nicht beibehalten konnte, drückte ich mich von der Wand weg und legte mich umständlich auf den Boden, sodass mein Rücken frei von jeglichen Berührungen war.
Zischend hielt meine Mutter die Luft an. Die Truppe und deren Männer, die vor einer Minute noch unser Haus attackiert hatte, war so gut wie vergessen. Der Schmerz füllte meinen ganzen Körper aus. Vom Rücken ging er aus. Mechanisch machte ich ein Hohlkreuz und wälzte mich hin und her.
Dies hatte allerdings zur Folge, dass sich der Schmerz nur noch weiter ausbreitete.
»Eva!« Meine Mutter kam zu mir herüber gekrochen und strich mir leicht über den Kopf, was gar nicht so leicht war, denn meine Bewegungen waren ruckartig. Ich hatte meinen Körper nicht mehr unter Kontrolle. Alles was ich spürte war reine Qual.
»Eva. Nicht bewegen. Du musst still bleiben. Dann tut es nicht weh.« Die Stimme meiner Mutter drang von weit her an mein Ohr. Es war schwer die undeutlichen Worte zu verstehen.
Was sie flüsterte war leichter gesagt als getan, doch wie ich nun einmal war, versuchte ich mein bestes, denn das letzte was ich wollte war, dass sich meine Familie Sorgen um mich machten. Ich war schon immer ein Mensch gewesen, der es bevorzugte selber zu Leiden, als das er anderen dieses Leid antat.
»Ah«, stöhnte ich, als meine Mutter meine Hände packte und sie auf den Boden presste, sodass ich mich nicht weiter bewegen konnte.
Sie hatte mich auf meine Beine gesetzt, sodass es für mich unmöglich war mich weiter auf dem Boden zu wälzen.
»Eva! Ganz ruhig. Ich werde dir das Shirt ausziehen. Bitte bleib ganz still.« Mit einem Kloß im Hals nickte ich. Die Tränen liefen mir noch immer die Wangen nach unten, doch achtete ich nicht darauf. Sie tropften auf den Boden und flossen dort in Rinnsalen hinfort. Ich versuchte mich zu entspannen, als Friedaanfing meine Arme aus den Ärmeln zu ziehen, was recht leicht war, denn der Stoff war alt und dünn. Er war braun und hing mir schlabbrig den Körper herunter.
Wir hatten nie besonders viel Geld gehabt, was durch die jetzige Lage verstärkt wurde und wir froh sein konnten, wenn wir manchmal noch das ein oder andere Essen fanden. Alles war teurer geworden und meine Eltern konnten als Juden nicht weiter arbeiten gehen. Es wäre zu riskant.
»Eva. So ist gut.« Fast fühlte ich mich wie ein Kleinkind, doch ich wusste, dass meine Mutter es immer nur gut mit mir meinte. Wenn sie so mit mir sprach war es einfach nur ein Zeichen von sorge, die niemand unterdrücken konnte.
Ich nickte leicht, wobei mir der Nacken dabei gehörig wehtat. Ich zuckte zusammen. Sanft strich meine Mutter mir die Haare vom Rücken. Es zog etwas, wobei ich dabei erschauderte. Es war, als wären die Haare in der Wunde gewesen. Es ziepte und ich unterdrückte einen weiteren Schwall an Tränen.
Mittlerweile war mein Vater zurück. Er kam zu mir rüber gekrochen und stellte vor mir einen Krug voll Wasser ab.
»Ist es sehr schlimm?«, fragte er mit einer Sorgenfalte auf dem Gesicht. Ich nahm die Arme nach vorne und legte meinen Kopf darauf. Diese Position war sehr viel entspannter als den Kopf auf dem harten Boden liegen zu haben.
»Sieh es dir selber an«, flüsterte meine Mutter mit schwacher Stimme. Mein Vater keuchte. »Verdammt. Die Wunde ist groß. Willst du sie reinigen?« Ich fing an zu zittern. Meine Hände verkrampften sich um meine Arme und meine Knöchel traten weiß hervor. Natürlich war es nötig die Wunde zu reinigen, denn ansonsten würde es sich noch entzünden, doch innerlich schreckte ich gewaltig zurück. Ich hatte genug Erfahrungen mit Wunden gemacht, sodass ich wusste wie schmerzhaft es sein konnte.
»Ich muss«, hörte ich meine Mutter leise murmeln. Sie dachte das Gleiche wie ich, das war mir bewusst. Langsam wurde der Boden unter meinem Bauch immer kälter. Es fühlte sich an wie gefrorenes Eis. Das Shirt war mir bis zur Brust hochgeschoben, sodass meine nackte Haut auf dem Stein lag.
»Eva? Ich werde es reinigen. Bitte beweg dich dabei nicht. Es würde das Ganze nur noch schlimmer machen«, sagte sie etwas lauert zu mir und ich nickte verkrampft. Das Letzte was ich wollte war, dass es sich auch noch entzündete.
»Holst du mir noch etwas Wasser?«, bat Frieda meinen Vater und schien dabei schon die ersten Fasern des Stoffes, welcher noch kurz zuvor an der Wunde verfangen war, heraus zu zupfen, denn es ziepte genau an der Stelle, wo ich die Wunde vermutete.
Ich wimmerte und versteckte meinen Kopf tiefer in die Arme. Dabei biss ich die Zähne fest aufeinander, sodass es ein knirschendes Geräusch ergab.
»Ich weiß. Es ist nicht mehr viel. Nur noch ein Fussel, dann hast du es geschafft«, sprach sie mir gutmütig zu und versuchte besonders sanft den Rest zu entfernen, was natürlich nicht ganz gelang. Immer wieder verübte es leichte Schmerzen im Rücken, die ich jedes Mal mit einem Zucken wahrnahm.
»Geschafft«, flüsterte sie nach einer gefühlten Ewigkeit plötzlich leise. Ich spürte das Blut, welches mir den Rücken runter lief. Durch das herausziehen der Fasern hatte es sich weiter geöffnet. Augenblicklich wurde mir schlecht. Der Geruch war stechend und vor allem wegen des Platzmangels konnte es nicht einfach aus dem Raum entschwinden. Ich seufzte und hustete gleichzeitig; erleichtert darüber, dass das Ziepen vorbei war und erschrocken darüber, dass es jetzt erst richtig Beginnen würde und das Blut einfach nicht stoppen wollte.
»Ich weiß, dass es noch immer unangenehm ist…«, hörte ich sie leise sagen. Wieder war ihre Stimme besorgt und zeigte die Fürsorge, die sie mir so oft schenkte. Ich wollte stark sein und biss die Zähne wieder zusammen. Allerdings konnte ich eine kleine Träne nicht unterdrücken, die mir die Wange nach unten lief und dabei eine nasse Spur hinterließ.
»Es geht schon«, flüsterte ich mit gebrochener und kratziger Stimme. Dieser Satz war nicht ganz die Wahrheit, denn es war unerträglich das Blut zu spüren und zudem noch zu riechen. Trotzdem gelang es mir den Satz annähernd glaubwürdig klingen zu lassen. Seit dem Beginn der Verfolgung meiner Glaubensrichtung, wie auch von Homosexuellen und Sinti und Roma, hatte ich gelernt meinen Schmerz zu verbergen und damit umzugehen. Weshalb es auch nicht schwer diese Qual zu verhüllen.
»Eva? Deine Mutter wird die Wunde jetzt säubern«, sagt Paul. Seine Worte prallten schallend von den Wänden ab und trafen mich mit voller Wucht viel zu laut ins Ohr. Ich zuckte deshalb leicht zusammen, doch als ich den Sinn verstand, breitete sich eine Gänsehaut auf meinem Körper aus, was nicht zuletzt an der Kälte lag.
»Ich… gut.« Meine Stimme war so gut wie fest, doch als ich meinen Mund schloss, fing mein Unterkiefer an zu zittern, sodass die Zähne leicht aufeinanderschlugen.
Die kalten verschmutzten Finger meiner Mutter strichen mir über die Haut und ließen mich frösteln. Eine unangenehme Gänsehaut bildete sich über meinem Körper. Ich versuchte es so gut wie möglich zu ignorieren, doch mittlerweile war auch die restliche Kälte so unangenehm, dass ich mich zusammenreißen musste, um nicht aufzuspringen und mich wärmen wollte. Eine Wolldecke hätte mir jetzt sicher gut getan, allerdings hatten wir jedeglich eine, die fertig geflickt neben der Sitzreihe lag, und nur darauf wartete in meinen Besitz genommen zu werden.
Mein Verlangen nach Wärme blieb nicht unbemerkt, denn sogleich fragte mich meine Mutter danach.
»Ist dir kalt? Wenn du willst kannst du dir das Kissen darunterlegen.« Ich seufzte – einerseits erleichtert, dass es noch eine weitere Möglichkeit gab, doch anderseits frustriet, dass sie sich so um mich sorgte. Es gab wichtigeres im Leben, als das mir kalt war. Wann sahen sie das endlich ein?
»Etwas«, nuschelte ich. Mir war gar nicht aufgefallen, dass auch meine Haut durch die Nässe ganz feucht und kalt geworden war. Ich nahm es erst wahr, als meine Hand nun den Arm streifte. Nun fing mein gesamter Körper an zu beben. Dies konnte ich wirklich nicht verbergen, sodass Friedamit einem schnellen Handgriff das besagte Kissen unter meinen nackten Bauch schob. Sofort ging es mir besser und die leichte Wärme des verdreckten Kissens färbte auf mich ab, sodass auch ich nicht mehr zitterte. Stattdessen durchflutete mich angenehmer Wärme. Dabei ergründete ich die uninteressanten Formen der braunen Wand.
»Besser?« Vor mir sah ich deutlich Frieda’s Gesicht und wie sich darauf eine Sorgenfalte gebildet hatte. Leise seufzte ich.
»Ja. Vielen Dank.« Ich war ihr mehr als dankbar, denn viel länger hätte ich den Boden unter meiner nackten Haut nicht mehr ertragen können. Anderseits spürte ich das Unbehagen in mir aufsteigen, als mir mal wieder klar wurde, dass ich die Person war, die ihr Leben viel zu sehr in Anspruch nahm. Dauernd passierte mir etwas. Entweder fiel ich hin, sodass sich die Knie aufschürften, oder es passierten jegliche andere Unfälle, bei denen ich auf andere Personen angewiesen war. Eigentlich war ich dies noch nicht einmal, doch die Fürsorge meiner Mutter sorgte dafür, dass ich wenigstens annähernd ein normales Leben führen konnte.
Ich spürte, wie mein Vater meinen Arm festhielt, sodass ich im Falle eines Falles nicht um mich schlagen konnte, was von Vorteil war, denn ich hatte keine Lust auf weitere Verletzungen und Wunden, auch wenn ich mich dagegen sträubte festgehalten zu werden. Ich fühlte mich dabei so gefangen. So gefesselt.
Dankend sah ich ihn an und er nickte mir kurz zu. Ich und mein Vater hatten immer ein besonderes Verhältnis zueinander gehabt. Es war ein stilles Verhältnis. Wir sprachen nicht viel zueinander, doch verstanden wir uns prima. Wir waren beide eher ruhiger; ich hatte es von ihm geerbt.
Meine Mutter hingegen war ein eher aufgeweckter Mensch, der immer in Aktion war. Früher hatte sie viel mit anderen Jüdinnen gemacht. Sie hatten Ausflüge gemacht, doch jeden Dienstag war nur eine kleine Kaffeestunde. Zu Anfang war ich einige Male mitgekommen, doch war ich zu klein gewesen, um aus ihren Erzählungen irgendetwas verstehen zu können.
Jetzt waren wir viel mehr auf uns allein gestellt. Das Leben war von Beginn Hitlers Macht um einiges schwerer geworden. Nichts war mehr wie vorher.
Zur Sicherheit hatten wir unser Haus verlassen und waren in eine kleine Hütte gezogen, die sehr viel unauffälliger war. Es passte hier in die Gegend und keiner dachte, dass Juden hier drinnen leben könnten.
Nur die Sonntage. Die machten uns das Leben schwer.
Da es zu unserer Religion gehörte an diesem Tag nicht arbeiten zu dürfen, mussten wir aufpassen, dass es nicht auffiel, dass wir uns anders verhielten.
Zu unserem Glück gab keinen laufenden Strom in dieser Hütte, sodass wir unbeobachtete Kerzen benutzen konnten.
Meine Mutter fuhr damit fort meinen Rücken leicht zu massieren, sodass sich meine Muskeln wieder entspannten. Dankend nahm ich dies an.
Einige Minuten war es ganz still und man hörte nur unsere Atem. Mein Herz pochte gegen meine Brust. Meine schlaffen arme hingen von den Kissen auf den Boden. Leicht strich ich darüber und entfernte Dreck aus den Ritzen.
Plötzlich vernahm ich ein Knarren. Die Tür. Leise hörte ich sie öffnen. Mein Zittern kehrte zurück.
»W-Was ist das?«, fragte ich geschockt. Schwerfällig kamen die Worte über meine Lippen. Meine Zähne fingen an aufeinander zu schlagen und ließen meinen Kiefer anspannen. Ich wusste genau was es war, doch wollte ich es nicht wahr haben.
Niemand kam in unsere Hütte. Niemand der uns kannte, wusste, dass wir hier lebten. Und deshalb bekam ich solche Angst.
»Bleib ruhig, Eva«, hörte ich meinen Vater von weit her leise flüstern. Es sollte beruhigend sein, doch ich merkte, dass er angespannt war. Man konnte es aus seiner Stimmlage heraushören.
Schritte näherten sich der Stelle direkt über uns. Ich hielt den Atem an. Ein paar stille Sekunden verstrichen.
Der morsche Holfußboden gab einen knackenden Ton von sich, als die Person den Weg fortführte. Sie entfernten sich vier Schritte von seinem letzten Standpunkt.
Noch immer zitterte ich am ganzen Körper. Meine verdreckten Fingernägel bohrten sich in das Kissen, wobei meine Knöchel dabei weiß hervortraten.
Ich fühlte eine eisig kalte Hand meinen Rücken hinunter streichen und wie sie mein Oberteil nach unten schob. Ich bekam noch nicht einmal die Kraft zusammen zu schreien. Doch es war nur Frieda. Nur meine Mutter. Niemand sonst.
Verzweifelt versuchte ich mich selbst zu beruhigen. Mittlerweile hatte meine Mutter ihre zittrigen finger wieder fortgenommen.
Und plötzlich ging es los.
Getrampel.
Mein Vater riss mich an einem Arm hoch, obwohl er selber auf seinem Bein kaum halt fand. Die niedrige Decke gab uns nicht die Möglichkeit schnell davon rennen zu können, doch ich versuchte mich möglichst gut gebückt zu halten.
Mit gekonnten Handgriffen schob mein Vater den Ofen zur Seite, der an der Wand stand. Dahinter befand sich ein Loch. Ein Gang in die Freiheit. Das hoffte ich zumindest, denn bisher hatten wir nie soweit kriechen müssen. Irgendwann waren wir immer wieder umgekehrt, weil es sich bei den Schritten nur um den Milchmann oder sonstwen gehandelt hatte.
Doch diesmal war es anders. Die Schritte waren kräftiger und stärker. Sie ließen mich einschüchtern.
Und es war nicht nur eine Person. Nein! Es waren mehrere. Mindestens sieben.
Ohne irgendwelche Gedanken zu verschwenden, schlüpfte ich hinter meiner Mutter durch das Loch. Paul bestand darauf als letzter den Keller zu verlassen.
Ich wusste wieso. Er wollte uns schützen.
Sein linkes Bein war nicht mehr zu benutzen. Eine Miene hatte es völlig unbrauchbar gemacht, sodass er jetzt immer auf dem rechten Fuß humpeln musste. Wir halfen wo es nur ging, doch Paul war vor der Zeit von Hitler ein aktiver Mann gewesen, sodass er sich größtenteils zu helfen wusste.
Der Gang war ein knapper Meter hoch und breit. Und er zog sich bis in die Dunkelheit, sodass man nichts erkennen konnte. Ich kniff meine Augen zusammen, als eine Ladung Putz von der Decke rieselte.
Friedawar bereits ein Stück vor mir, sodass ich schnell nach vorne robben konnte.
Ich hörte das Trampeln der Stiefel. Ein Knarren. Verdammt. Sie hatten die Treppe in den Keller gefunden.
»Schnell, Paul«, flüsterte ich mit zittriger Stimme. In dem Moment hörte ich, wie er den Ofen an die Wand zog, sodass sich das Loch schloss. Sie würden erst einmal nicht darauf kommen, dass wir uns hier befanden. Geschweige denn, dass es diesen Gang gab. Doch sie würden alles durchsuchen und es gesamten Keller auf den Kopf stellen, nur um unsere Menschenseelen zu finden. Somit würde es nur eine Frage der Zeit sein, ehe sie den Ofen zur Seite schoben.
Wir bewegten uns nicht gerade schnell voran und es war keine Hilfe, dass der Boden rau und unebenen war. Trotzdem war ich mehr als froh, dass es diesen Gang überhaupt gab. Ansonsten hätte man uns schon viel früher entdeckt und ich wollte mir die Folgen erst gar nicht ausmalen.
Ich vernahm das Geplärr der Männer im Keller und bei den Stimmen gefror mein Blut zu Eis. Sie klangen so seelenlos und gefühlsarm. Einfach unmenschlich.
Von Sekunde zu Sekunde wurde es hinter uns leiser und die Stille umhüllte uns immer mehr.
Nach einigen stillen Minuten wurde das Keuchen hinter mir immer gewaltiger. Es tat mir weh meinen Vater so leiden zu sehen. Für keinen war es so schwer wie ihn.
Ich wusste, dass es nichts bringen konnte, doch trotzdem fragte ich ihn, ob ich ihm helfen konnte. Seine Antwort war schlicht und einfach ein `Nein´. Es war sowieso unmöglich ihm in irgendeiner Weise zu helfen, denn mit der Zeit wurde es immer enger.
Es war stockduster und kein einziges Licht erhellte den Gang. Es war unheimlich. Noch nie hatten wir so weit gehen müssen. Es war mir unbekannt.
Die Angst in meiner Brust vergrößerte sich. Es kostete mir Unmengen an Kraft nicht zusammenzubrechen und den Tod einfach über mich ergehen zu lassen. Mein Gefühl sagte mir, dass es diesmal nicht gut enden würde. Man würde uns finden. Uns einsperren. Und den Rest wollte ich nicht wissen. Zu grausame Bilder stiegen in meinem Kopf auf.
»Eva. Halte durch.« Trotz seiner Schmerzen schaffte mein Vater es noch mich zu ermutigen nicht aufzugeben. Er war zu bewundern.
»Wir schaffen das!«, bestätigte meine Mutter. Ihre Worte hallten von den Wänden wieder, sodass ich zusammenzuckte. Ich merkte, dass sie an Geschwindigkeit zulegte, denn das Scharben der Uhr an ihrem rechten Arm auf dem Boden entfernte sich etwas. Das Geräusch wurde zunehmend leiser. Nicht besonders stark, doch ich konnte es erkennen.
Ich spürte den Atem meines Vaters hinter mir. Er ließ mich erschaudern. Schnell realisierte ich, dass auch er mehr Krafteinsatz zeigte.
Meine Muskeln spannten sich an, als ich die Beine stärker zusammenzog und mich mit den Händen schneller nach vorne zog. Es schmerzte und fühlte sich so an, als würden sie jeden Moment reißen. Ich keuchte.
Mein Atem ging schneller und mein Herz überschlug sich. Mal wieder. Wie oft in den letzten Minuten hatte mein Herz das unermessliche erklommen?
Die folgenden Minuten waren die wahrscheinlich schlimmsten in meinem bisherigen Leben, denn auch wenn ich keine Kraft mehr verfügte, musste ich mich fortbewegen. Sowohl mein Hals auch mein Mund waren trocken und kratzig. Ich sehnte mich nach Wasser, doch schneller wurde ich dadurch nicht. Im Gegenteil. Es schwächte mich zu wissen, dass der Gang noch lange nicht zu Ende war, wodurch das Aufnehmen von Wasser hinausgezögert wurde.
Mein rechter Arm fing nach einiger Zeit an zu pochen. Immer wieder schrabbte er über den Boden und von mal zu mal verschlimmerte sich das stechende Gefühl im Unterarm. Ich war nahe dran aufzuschreien, als ein besonders spitzer Stein über meine Haut fuhr, doch mir war mehr als bewusst, dass ich damit nur das Trommelfell meiner Eltern und mein eigenes beschädigen würde. Ein Schrei würde durch die Dunkelheit von allen Seiten widerhallen, was ihn noch ohrenbetörender erscheinen ließe.
Stattdessen keuchte ich laut und stützte mich ab nun mehr auf dem linken Arm ab. Zwar war dies nicht minder angenehm, als zuvor, doch ich wollte nicht wissen, was sich am rechten Arm getan hatte.
Ich spürte, wie meine Hose am Knie immer mehr aufriss und dabei meine Haut aufschürfte. Ich konnte das Blut förmlich schon riechen, auch wenn es hier viel zu stickig war, als das ich irgendeinen Geruch wahrnehmen konnte.
Meine Hände ballten sich zu Fäusten. Meine Knöchel taten dadurch höllisch weh, doch es unterdrückte die Qualen der anderen Schmerzen, die von meinen Beinen und meinem rechten Arm ausgingen. Somit war es fast eine Erlösung diese Art von Schmerzen zu ertragen.
»Sie werden nicht mehr lange brauchen«, hörte ich Frieda sagen und ein eiskalter Schauer machte sich auf den Weg vom Nacken bis zu meiner Hüfte breit. Es war elektrisierend, doch nicht auf eine schöne Weise, sondern so, dass der Angstschweiß förmlich von der Decke tropfte. Diesen hätte ich in diesem Moment sogar herzlich empfangen, denn mittlerweile rieselte sekündlich etwas von der Decke. Ich hatte meine Augen fest zusammengepresst, denn es war kein Vergnügen den Sand in den Augen zu spüren.
»Wie weit müssen wir noch?«, fragte ich unter einem Keuchen. Meine Lungen brauchten Sauerstoff, wovon es in diesem Loch nicht genügend gab.
»Eigentlich müsste die Öffnung bald kommen.« Meine Mutter hatte einen besorgten Unterton. Hieß das, dass wir eigentlich schon hier raus sein müssten? Das sowieso schon eingefrorene Blut in meinem Körper erstarrte nun völlig. Die Panik wuchs von Atemzug zu Atemzug.
»Eva. Bleib ganz ruhig«, sprach ich leise zu mir selber. Ich durfte jetzt nichts Dummes machen, dass alles nur noch schlimmer machte. Ich musste Ruhe bewahren, auch wenn das der Bedingungen hier unten entsprechend schwer war.
Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie konnte ich mir ins Gewissen sprechen, dass wir hier rechtzeitig rauskommen würden. Dadurch schuf ich Kraft, womit ich meiner Mutter schneller folgen konnte.
Das Keuchen meines Vaters, welches zwischendurch wieder leiser geworden war, nahm wieder zu. Er hyperventilierte.
»Paul? Schaffst du’s?« Sein Krächzendes »Ja« war unter unseren lauten Atem kaum zu verstehen.
»Gleich haben wir es geschafft.« Meine Mutter war nicht mehr zu stoppen. Sie bewegte sich wieder schneller fort, sodass ich Mühe hatte ihr zu folgen.
Plötzlich bewegte sich nichts mehr vor mir und im letzten Moment nahm ich wahr, dass Frieda stehen geblieben war. Ich fiel schlaff auf den staubigen Boden und scherte mich nicht darum, dass meine Kleidung nun wahrscheinlich völlig unnützlich war. Meine rechte Gesichtshälfte drückte auf den Boden und meine Haare fielen in alle Richtungen.
Noch immer erhellte kein Lichtschimmer die Dunkelheit. Ich kam mir blind und unbeholfen vor. Lebensunfähig.
»Haben wir es geschafft?«, fragte ich. Meine Muskeln, die vorher noch so angespannt waren, wurden plötzlich schlaff.
Friedaseufzte.
»Noch nicht.«
Mein Herzschlag holperte noch immer unregelmäßig vor sich her, doch die Tatsache, dass wir hier bald raus sein würden ließ mich beflügeln. Dennoch war ich mir bewusst, dass es noch nicht vorbei war. Noch waren wir noch nicht ganz geflohen. Auch wenn wir unser heutiges Ziel erreicht haben würden und den Männern entkamen, so würde immer die Gefahr bestehen entdeckt zu werden. Das ließ die Zukunft nicht gerade rosig aussehen.
»Hier ist die Öffnung. Aber ich bekomme sie nicht auf.« Die Verzweiflung in der Stimme meiner Mutter ließ mich aufschrecken. Ich setzte mich auf und tastete mich nach vorne. Meine Finger strichen über die Wände und ließen dabei immer mehr abbröckeln. Meine Wirbelsäule fühlte sich ungewohnt verspannt an, sodass ich Mühe hatte meine Mutter zu erreichen. Schließlich berührten meine Fingerkuppen ihren Rücken.
»Eva, Liebes. Es geht schon. Überanstreng dich nicht.« Ich wusste nicht, wie sie so etwas jetzt sagen konnte. Wenn ich jetzt den gesamten Weg hierher gekrochen war, dann würden wir jetzt auch diese verdammte Tür aufbekommen. Ich hatte zwar keine Ahnung wie das ganze hier überhaut aussah und es sich öffnen ließ. Doch ein Versuch war es wert.
Doch ein lautes Quietschen, das mitsamt einem lauten Donnern durch den Tunnel widerhallte, ließ mich zu Tode erschrecken. Das Brüllen von Männerstimmen - vielleicht war es auch nur eine einzige - hatte mein Ohr erreicht. Ein eiskalter Schauer ließ mein Rückgrat erzittern. Daraus entstand ein heftiges Beben, das es schwer machte sich darauf zu konzentrieren die Tür zu öffnen.
»Eva. Lass das.«Die harte Stimme meines Vaters ließ mich abermals erschrecken. »Wir haben keine Zeit«, sagte er leicht entschuldigend, als er mich kräftig zur Seite schubste, damit er an die Luke herankam. Zwar war ich in diesem Moment mehr als schockiert über seine ruppige Art, doch gleich darauf verstand ich ihn.
Mit ein paar schnellen Handgriffen war ein leises Knarren zu hören. Wahrscheinlich war es alles andere als leise, doch die Stimmen wurden immer lauter. Zudem kam jetzt ein schlurfendes Geräusch, das wahrscheinlich dadurch entstand, dass sie anfingen durch den Tunnel zu kriechen. Die Angst in meiner Brust schwoll an.
»Komm schon.« Die Sorge in seiner Stimme ließ mein Herzklopfen erhöhen, denn es war höchst selten, dass Paul vor irgendetwas Furcht zeigte. Er hatte bereits genug erlebt, aber diese Situation schien ihm neu zu sein. Noch nie waren wir so intensiv verfolgt worden. Noch nie hatten wir so weit und dabei so schnell flüchten müssen.
Ich wurde am Arm gerissen und spürte den kräftigen Händedruck meines Vaters, der sich fest um meine Haut klammerte. Es tat weh, doch ich gab keinen Mucks von mir, als ich über den steinigen Boden gezerrt wurde. Halb lief ich dabei rückwärts. Die Öffnung war klein, sodass mein Kopf dagegen knallte. Er schmerzte und ich konnte einen leisen Schrei nicht unterdrücken. Er fing an wie wild zu pochen und das Blut rauschte in meinen betäubten Ohren. Meine Augenlider waren zusammengepresst und meine Lippen mussten eine schmale Linie formen, denn auch diese kniff ich zusammen.
Und ganz plötzlich war alles schwarz.

Als ich meine Augen öffnete befand ich mich in einer fremden Umgebung. Ein leichter Wind wehte über mein Gesicht. Es kitzelte in meiner Nase und ein paar Haare verirrten sich auf mein Gesicht. Die Lippen waren trocken und als ich mit meiner Zungenspitze darüberstrich tat es weh. Mein Schädel brummte. Ich sog die reine Luft ein und genoss es in meinen Lungen.
Als ich mich an das fahle Licht gewöhnt hatte, erkannte ich zwei Schatten nicht weit von mir entfernt auf dem Boden hocken. Die einzige Lichtquelle war der Mond, doch ich erspähte die Körper eines Mannes und einer Frau. Meine Eltern.
Kein Geräusch ging von ihnen aus und auch sonst war es recht still. Nur von weit her konnte ich ein paar vereinzelte Stimmen und einen Streit erhören.
Meine Finger berührten die feuchte Erde. Ich lag auf einer rauen Decke, durch die ich den Boden spüren konnte. Sie war etwas feucht.
Vorsichtig setzte ich mich auf, um meine Knochen nicht zu überstrapazieren. Sie knackten gewaltig und das Geräusch ließ mich erschauern. Ich streckte mich, als würde ich wie jeden Morgen aufstehen, doch anfühlen tat es sich völlig anders. Es war gruselig mitten in der Nacht irgendwo draußen zu liegen, ohne zu wissen wo man sich befand.
Mein Rücken war verrenkt und ich musste den rechten Arm nach hinten drücken, damit es nicht weh tat.
Mit der Decke unter dem Arm stand ich auf und machte mich auf den Weg zu meinen Eltern. Sie drehten sich hastig um, als sie meine Schritte hörten. Ich sah ihre Muskeln sich anspannen, doch als sie mich erkannten seufzten sie erleichtert. Scheinbar hatten sie befürchtet, dass ich einer der Männer wäre, die uns verfolgt hatten.
Moment. Wer sagte denn nicht, dass sie uns noch immer verfolgten. Sie hatten die Ausdauer nach uns Tag und Nacht zu suchen. Innerlich stöhnte ich bei dem Gedanken weiterhin verfolgt zu werden. Es war weniger ein Stöhnen; vielmehr ein Kreischen, das in meinem Kopf ertönte.
»Eva.« Die Stimme meiner Mutter war sanft. Sie ließ mich erschaudern. Schweigend setzte ich mich zu ihnen und starrte auf die Wiese, die sich vor uns ausbreitete. Kaum ein Grasbüschel war noch da. Eigentlich war es nur ein zertrampelter Matschplatz.
»Such sie noch nach uns?«, fragte ich. Es fühlte sich fremd an die eigene Stimme zu hören. Vielleicht lag es auch daran, dass ich zitterte und meine Worte zum Ende des Satzes brachen. Ich weiß es nicht. Zumindest fühlte ich mich unglaublich unwohl.
»Ja.« Es war nur ein einziges Wort, doch es ließ meine Welt zusammenbrechen. Alles war plötzlich verschwommen - meine Gedanken waren verwirrend.
»Sie werden nicht damit aufhören, ehe sie uns gefasst haben, oder?« Abermals verließ diese Frage meine Mund. Dieser nicht allzu lange Satz war zahlreich mit brüchigen Worten bestückt und ich drohte aus der Fassung zu geraten. Eine heiße Träne kullerte mir über die kalte Wange. Ich konnte hören, wie sie auf meine Hand tropfte und spürte wie ich immer mehr zerbrach.
»Nein.« Der Mund meiner Mutter bewegte sich mechanisch – wie ein Roboter. Die Worte waren kalt – zeigten keinerlei Gefühle. Aber es war ihr dennoch anzusehen, dass sie stark mit sich kämpfte.
Paul saß einfach nur stumm da. Dann fing er an mir langsam über den Rücken zu streicheln. Es war eine sanfte Bewegung und immer mehr fühlte ich mich geborgen. Ich schloss die Augen und stellte mir vor, dass ich mich auf einem wunderschönen Platz befand. Bunte Blumen schmückten die grüne Landschaft und Vögel zwitscherten fröhliche Melodien. Die Bäume waren von schmackhaften Äpfeln bedeckt und die Sonne hinterließ eine angenehme Wärme. Es fühlte sich frei und unbeschwerlich an. Dieses Gefühl vermisste ich schon seit langem. Und jetzt war der Zeitpunkt, wo einfach alles zu viel wurde. Diese Leere der guten Gefühle – immer nur das Schreckliche vor Augen – war eine Qual der Superlative. Es war unbeschreiblich.
»Verlier nicht die Hoffnung. Es wird alles gut.« So gerne würde ich den Worten meines Vaters glauben, doch es war zu surreal. Die Situation war zu negativ, um daran denken zu können.
»Ich versuch’s« war die Antwort darauf und ich tat es wirklich. Immer wieder sprach ich mir ein, dass es eine Möglichkeit gab aus diesen Albtraum zu verschwinden. Doch auch die Fragen kamen und ließen Pauls Aussage nicht ganz einfach so dastehen.
Die nächsten Minuten versuchte ich meinen Kopf leer von all den Dingen zu bekommen. Der Erfolg war dabei nicht sonderlich groß. Immer wieder musste ich an die barschen Stimmen unten im Keller denken. An das Getrampel. An alles, was passiert war. Für einen Moment malte ich mir sogar die Zukunft aus. Sie war grau – ohne jegliche Farbe. Meine Kehle schnürte sich zu und ich rang nach Luft. Es durfte nicht passieren, dass man uns fand.
»Lass uns hier verschwinden«, flüsterte ich hastig und stand gehetzt auf. Wir brauchten ein besseres Versteck. Diesen Ort konnte man noch nicht einmal ansatzweiße ein Versteck nennen, denn es war einfach ein öffentlicher Platz, auf den jeder spazieren konnte. Zwar waren wir etwas am Rande, doch das Mondlicht zeigte genug von uns. Genug, um uns entdecken zu lassen. Und aus diesem Grund fing ich schnell an meine Eltern davon zu überzeugen, was mit diesem Satz schon getan war.
Sie standen ebenfalls auf, doch eine Frage blieb noch immer offen. Wohin?
Ich kannte diese Gegend hier nicht gut – war nur ein paar wenige Male hier gewesen. Also kannte ich auch keinen geeigneten Ort. Doch mein Vater humpelte schon los und ich folgte ihm. Genauso wie meine Mutter. Auch wenn er leicht gehandicapt war, konnte er sich schnell fortbewegen. Ich hatte Mühe mit ihm Schritt zu halten.
Plötzlich rutschte ich ab. Mein rechter Fuß wurde nach unten gesogen und als ich ihn wieder anheben wollte, triefte er vor Wasser. Ich war in eine recht tiefe Pfütze getreten, die man durch die Dunkelheit kaum erkennen konnte. Einen Moment fluchte ich, doch dafür blieb keine Zeit. Wir durften uns nicht allzu lange hier aufhalten. Es passierte viel zu schnell, dass man gesehen wurde.
Geduckt liefen wir an einer Hecke vorbei. Ein paar Wachen standen am Hauseingang eines Gebäudes, sodass uns keine andere Möglichkeit blieb, als die Gefahr zu riskieren.
Scheinbar eine Ewigkeit dauerte es an, bis mein Vater ein recht gutes Versteck gefunden hatte. Niemand hatte uns gesehen, auch wenn ein paar Truppen noch immer durch die Stadt wanderten.
Wir hatten es geschafft.
Schlaff ließ ich mich auf den Boden fallen.